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Verheimlichte Qual? Die Wahrheit über blaue Zungen in der Dressurarena

Die Aufnahmen schockierten die Reitwelt: Immer mehr Dressurpferde zeigen blaue Zungen – ist das Tierquälerei? Alles über den Dressur-Skandal und welche Konsequenzen er haben könnte.

Pferd streckt Zunge raus
(Quelle: @Mona Eendra / Unsplash)

Als die Fotos die Runde machten, sorgte die Tatsache für einen Aufschrei: Dressurpferde mit blauen Zungen! Experten und Fotografen dokumentieren zunehmend Fälle, in denen Pferde mit verfärbten Zungen in der Arena zu sehen sind. Doch warum tritt dieses Phänomen auf, und warum wird es nicht geahndet?


Neue Untersuchungen legen nahe, dass harte Zügelführung, enge Nasenriemen und der umstrittene Einsatz der Kandare eine Rolle spielen könnten. Während Tierschützer Alarm schlagen und immer mehr Regierungen beginnen, sich einzuschalten, blieb der internationale Reitsportverband FEI (Fédération Équestre Internationale) lange Zeit auffällig still.


Blaue Zungen bei Dressurpferden: Ein Problem, das niemand sehen will?


Zum ersten großen „Blue-Tongue-Gate“ kam es im Jahr 2009, als der schwedische Dressurreiter Patrik Kittel auf einem Video dabei zu sehen war, wie sein Pferd Scandic mit einer blau verfärbten Zunge lief. Die Aufnahmen sorgten weltweit für Aufsehen und stürzten den Reitsport in eine Kontroverse. Doch obwohl das Video viral ging und sogar die britische Dressur-Website durch den Ansturm zusammenbrach, kam es nicht zu ernsthaften Konsequenzen.


Die FEI stellte zwar fest, dass Kittels Reitweise nicht „exzessiv“ gewesen sei, sprach aber gleichwohl eine Verwarnung aus. Tierschützer waren empört, da die blaue Zunge als Zeichen einer eingeschränkten Durchblutung und Sauerstoffversorgung gewertet wurde – möglicherweise durch eine zu starke Zügeleinwirkung oder einen zu engen Nasenriemen verursacht.


Seitdem tauchen immer wieder neue Bilder auf, die das gleiche Muster zeigen. Besonders durch moderne Hochauflösungskameras werden nun häufiger Aufnahmen veröffentlicht, auf denen Pferde mit blauen, fast leblosen Zungen zu sehen sind.


Schockierende Aufnahmen – aber warum wird so wenig unternommen?


Während Tierschützer und unabhängige Fotografen die Beweise liefern, bleibt die FEI zurückhaltend. Der FEI-Chef-Tierarzt Dr. Goran Akerstrom gab zwar zu, dass er in Paris einige blaue Zungen fotografiert und Reiter gewarnt habe, erklärte aber gleichzeitig, dass es für Richter schwer sei, die Verfärbung aus der Distanz zu erkennen.


Ein weiteres Problem besteht darin, dass die blaue Zunge nach dem Ritt schnell wieder verschwindet, wenn das Pferd im Schritt auf einer langen Zügel geht. Beim üblichen Nachkontroll-Check nach dem Ritt ist dann nichts mehr zu sehen. Das bedeutet, dass die Verstöße in der Arena geschehen, aber bis zur Kontrolle bereits „verschwunden“ sind – ein Freifahrtschein für Reiter, um ungestraft weiterzumachen.


Dressurfotografin Kim Lundin, die bei den Olympischen Spielen in Paris akkreditiert war, bestätigte, dass sie mehrere blaue Zungen mit bloßem Auge gesehen habe und noch viel mehr bei der Vergrößerung ihrer Fotos entdeckte. Dennoch scheint die FEI das Problem nicht als Missbrauch einzustufen – was bedeutet, dass Richter es auch nicht bestrafen.


Warum gibt es kaum Sanktionen im Dressursport?


Im Vergleich zu anderen Disziplinen fällt auf, dass im Dressursport kaum Sanktionen für Tierschutzverstöße verhängt werden. Im Vielseitigkeitsreiten zum Beispiel führt Blut im Maul des Pferdes zu einer sofortigen gelben Karte für den Reiter – eine offizielle Verwarnung, die im Disziplinarregister vermerkt wird. In der Dressur hingegen bedeutet Blut zwar die Disqualifikation, hat aber keine weiteren Konsequenzen.


Kritiker werfen der FEI vor, dass sie den Dressursport vor negativen Schlagzeilen schützen will, da dieser als „elegante“ Disziplin gilt. Doch genau dieser Schutz könnte das Problem weiter verschärfen, weil es ohne klare Strafen keinen Grund gibt, das Training oder die Ausrüstung zu überdenken.


Keine wissenschaftlichen Studien – doch Experten schlagen Alarm


Einer der Hauptgründe, warum es noch keine harten Sanktionen gibt, liegt in der fehlenden wissenschaftlichen Forschung. Während zum umstrittenen Training mit Hyperflexion (Rollkur) bereits viele Studien existieren, gibt es keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse zur Blaufärbung der Zungen.


Der britische Pferdewissenschaftler Dr. David Marlin betonte in einer Diskussion, dass es viele offene Fragen gibt: Wodurch genau entsteht die Blaufärbung? Wie lange hält sie an? Ist sie schmerzhaft für das Pferd? Sind bestimmte Rassen oder Disziplinen besonders betroffen?


Diese offenen Fragen verhindern, dass die FEI oder nationale Verbände harte Sanktionen aussprechen. Dr. Mette Uldahl, Expertin für die Mundgesundheit von Pferden, arbeitet nun an einer neuen Studie, um diese Wissenslücke zu schließen. Sie betont jedoch, dass „Organe, die blau werden, niemals ein gutes Zeichen sind“.


Manipulierte Bilder? Die Debatte um Photoshop-Vorwürfe


Ein weiteres Argument der Verteidiger des Dressursports ist die Behauptung, dass viele der gezeigten Bilder möglicherweise manipuliert seien. In den sozialen Medien kursieren unzählige Aufnahmen von Pferden mit blauen Zungen, was einige Skeptiker dazu veranlasst, von einer „Hetzkampagne“ zu sprechen.


Jon Stroud, Vertreter der International Alliance of Equestrian Journalists, erklärte jedoch, dass professionelle Fotografen wie Getty Images strenge ethische Richtlinien befolgen. Manipulationen seien in ihrer Arbeit ausgeschlossen, und ihre Rohbilder (RAW-Dateien) könnten jederzeit als Beweis verwendet werden.


Dänemark greift durch – kommt jetzt ein Gesetz gegen Tierquälerei im Pferdesport?


Einzelne Länder unternehmen bereits drastische Schritte. In Dänemark, einem der weltweit führenden Länder in der Warmblutzucht und im Dressursport, hat die Regierung das Problem als ernst genug eingestuft, um ein Gesetz zum Schutz von Sportpferden zu verabschieden.


Nach einer Konferenz in Kopenhagen hatte der Dänische Ethikrat für Tierschutz erklärt, dass die FEI nicht schnell genug handle. Deshalb erließ die dänische Regierung eigene Vorschriften, um das Wohl der Pferde zu schützen.


Die dänische Tierschützerin Julie Taylor, die bereits 2009 den ersten Skandal aufgedeckt hatte, glaubt, dass der öffentliche Druck weiter steigen wird. Die britische Zeitschrift horseandhound.co.uk zitiert sie mit der Aussage: „Ich arbeite mit Journalisten aus ganz Europa zusammen, um das Thema bekannt zu machen. Wenn die FEI nicht handelt, werden es nationale Regierungen tun.“


Fazit: Die Reitwelt steht weiter vor einer Zerreißprobe


Die wachsende Zahl von Fällen, die moderne Fotografie aufdeckt, sorgt für Unruhe im internationalen Dressursport. Zwar hat die FEI inzwischen Regeln eingeführt, wie fest ein Nasenriemen geschlossen werden darf – doch ob die Einführung und Verbreitung eines kleinen Messtools die Lösung für das Dilemma ist, das ist in der Reiterwelt heftig umstritten.


Zumal viele darauf hinweisen, dass es ja schon lange simple Richtlinien gebe, um zu überprüfen, ob ein Nasenriemen so eng ist (Zwei-Finger-Regel). Bezüglich der Handhabung der Zäumungen durch einige Reiter, die ja das eigentliche Problem ist, hält sich die FEI jedoch bedeckt.


Wird es insofern – dem Vorbild Dänemarks folgend – immer mehr nationale Regierungen geben, die den Sport zur Verantwortung ziehen? Eines ist sicher: Das Thema blaue Zungen bei Dressurpferden wird nicht verschwinden – und der öffentliche Druck auf den Reitsport wird weiter zunehmen.


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