Lächeln Pferde heimlich? Was uns ihre Augen, Lippen und Bewegungen wirklich sagen
- pferdewelten
- 6. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Glück oder Stress? Pferde verraten ihre Gefühle – aber nur, wenn wir genau hinsehen. Forscherin enthüllt überraschende Einblicke in die Pferdeseele.

Wenn wir Menschen glücklich sind, lächeln wir. Doch wie erkennt man ein glückliches Pferd? Dr. Gemma Pearson, Veterinärin und Verhaltensexpertin bei der britischen Organisation The Horse Trust, bringt Licht ins Dunkel der equinen Gefühlswelt.
„Wir dürfen Pferden nicht einfach menschliche Gefühle andichten. Aber wir wissen heute sehr wohl, wann ein Pferd gestresst, aufgeregt oder wirklich glücklich ist“, erklärt die Expertin im Gespräch mit horseandhound.co.uk. Dennoch gibt es wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über die emotionale Verfassung unserer vierbeinigen Begleiter.
Das Erregungsniveau: Der Schlüssel zum Verstehen der Pferde
Die Wissenschaft unterscheidet zwei Hauptbereiche bei der Beurteilung von Pferdeemotionen. Der erste ist das "Erregungsniveau" – quasi die Wachsamkeitsstufe des Pferdes. "Wir können Pferde mit niedrigem Erregungsniveau haben, die sehr entspannt sind, und dann haben wir Pferde mit sehr hohem Erregungsniveau", erläutert Pearson.
Der zweite Bereich betrifft den "affektiven Zustand" des Pferdes – ob es glücklich oder traurig ist. "Wie wissen wir, ob ein Pferd glücklich ist? Ehrlich gesagt werden wir das nie mit absoluter Sicherheit wissen, aber wir sollten nicht das Perfekte zum Feind des Guten machen", sagt die Verhaltensforscherin.
Glücklich oder gestresst? Die Emotionsmatrix entschlüsselt
Die Kombination aus Erregungsniveau und affektivem Zustand ergibt eine Art Emotionsmatrix:
Ein glückliches Pferd mit hohem Erregungsniveau ist aufgeregt, energiegeladen – ideal für einen Geländeritt.
Ein glückliches Pferd mit niedrigem Erregungsniveau erscheint entspannt, etwa beim Grasen – perfekt für ruhige Trainingseinheiten.
Am anderen Ende stehen Pferde mit negativem Affektzustand:
Ein unglückliches Pferd mit hohem Erregungsniveau wirkt gestresst.
Ein unglückliches Pferd mit niedrigem Erregungsniveau kann Anzeichen von Depression oder erlernter Hilflosigkeit zeigen.
Depression beim Pferd – keine Seltenheit
Besonders erschütternd: Auch depressive Zustände kommen bei Pferden vor. Tiere mit dauerhaft niedrigem Erregungslevel und negativem Gemütszustand zeigen Symptome von „erlernter Hilflosigkeit“.
„Sie stehen teilnahmslos, reagieren kaum, wirken wie abgeschaltet. Ihre Augen sind leer, ihre Bewegungen matt – viele erkennen diesen Zustand fälschlich als brav oder ruhig,“ so Pearson.
Die verblüffenden Bewältigungsstrategien von Pferden
Besonders überraschend sind die unterschiedlichen Bewältigungsstile von Pferden unter Stress.
Aktive Coping-Typen: Flucht, Kampf, Fuchteln – sie rennen los, schlagen aus oder fangen hektisch an zu kratzen.
Reaktive Coping-Typen: Sie frieren ein – scheinbar ruhig, in Wahrheit starr vor Anspannung. Pearson nennt sie „die Übersehenen“.
Neben den bekannten "Kampf oder Flucht"-Reaktionen identifiziert Dr. Pearson ein drittes aktives Bewältigungsmuster: das Zappeln.
"Wenn Sie ein Pferd haben, das ziemlich entspannt ist, und Sie beginnen, etwas mit ihm zu tun, vielleicht denken Sie daran, es zu scheren, und plötzlich muss es seinen Kopf an Ihnen reiben oder am Boden schnüffeln... Diese Pferde zeigen eigentlich, dass sie mit dem, was wir in diesem Moment tun, nicht sehr zuversichtlich sind."
Noch faszinierender ist die "reaktive Bewältigung" – das Einfrieren. "Ich denke, das ist etwas, was Menschen bei Pferden oft übersehen", warnt die Expertin. Diese Tiere können völlig still stehen, bis sie eine bestimmte Schwelle erreichen und dann plötzlich explodieren.
Dieses Verhalten wird häufig fälschlicherweise als Sturheit interpretiert, besonders beim Verladen, während das Pferd in Wirklichkeit unter extremem Stress steht.
Praktische Anzeichen für erhöhtes Erregungsniveau erkennen
Die Expertin empfiehlt, auf folgende Signale zu achten: "Schauen Sie auf das Auge, die Ohren und die Schnauze. Die Schnauze kann länger werden, sodass der Lippenwinkel zurückgezogen wird, das Kinn kann prominenter werden. Achten Sie auf allgemeine Muskelspannung im Pferd."
Beim Reiten spürt man es in der Bewegung – anstatt locker und entspannt zu sein, werden die Schritte etwas ruckartiger und angespannter. Diese Fähigkeit, verschiedene Zustände bei Pferden zu erkennen, ist entscheidend für ein optimales Training und eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Mensch und Pferd.
Die Körpersprache des Glücks – und des Schmerzes
Doch wie erkennt man den Gemütszustand eines Pferdes?
Ohren: Dauerhaft nach vorn gerichtet = wach, interessiert; ständig hin- und hergehend = angespannt oder überreizt
Augen: Offen und weich = entspannt; weit geöffnet oder starr = Angst oder Stress
Maul & Lippen: Locker = ruhig; gespannte, nach hinten gezogene Mundwinkel = Alarm
Bewegung: Fließende Schritte = Wohlbefinden; ruckartige, unkoordinierte Bewegungen = Anspannung
Achtung bei Überforderung: Wenn Lernen unmöglich wird
Die meisten Probleme im Umgang mit Pferden entstehen laut Pearson, weil das Erregungslevel des Tieres zu hoch ist. Wie bei Menschen steigt bei zu viel Stress die Lernfähigkeit dramatisch ab.
„Ein übererregtes Pferd kann nicht mehr zuhören oder Neues lernen. Stattdessen gilt: Reize reduzieren, Ruhe reinbringen, Aufgaben herunterbrechen.“
Fazit: Ein wacher Blick für echte Emotionen
Pferde zeigen ihre Gefühle – aber in einer stilleren, feineren Sprache als wir Menschen. Wer wirklich wissen will, ob sein Pferd glücklich ist, muss lernen, nicht nur mit den Augen, sondern mit dem Herzen zu sehen.
Und vielleicht ist das wahre Glück eines Pferdes gar nicht so weit entfernt – sondern liegt im ruhigen Blick, dem lockeren Tritt und der stillen Nähe zu seinen Menschen.
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