"Ich gehöre nicht hierher!" - Warum selbst Reit-Profis unter Selbstzweifeln leiden
- pferdewelten
- 10. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Wenn Amateur-Reiter neben ihren Idolen starten, kann das lähmende Selbstzweifel auslösen. Doch auch Olympia-Teilnehmer kennen dieses Gefühl.

Der Reitsport ist einzigartig: Hier können Hobby-Reiter plötzlich neben ihren größten Idolen an der Startlinie stehen. Was zunächst wie ein Traum klingt, entwickelt sich für viele zu einem Alptraum der Selbstzweifel.
Das sogenannte Impostor-Syndrom grassiert in der Reiterszene - und macht selbst vor Olympia-Teilnehmern nicht halt.
Wenn die innere Stimme zum Feind wird
"Jeder lacht über mich, ich gehöre nicht hierher" - diese vernichtenden Gedanken kennen mehr Reiter, als man vermuten würde. Dr. Krissie Ivings, klinische Psychologin und Autorin, beschreibt das Phänomen im Gespräch mit horseandhound.co.uk drastisch: "Es ist wie ein Papagei auf der Schulter, der permanent negative Dinge ins Ohr flüstert."
Das Impostor-Syndrom lässt Betroffene wie Betrüger fühlen. Sie glauben, sie hätten ihre Erfolge nur durch Zufall erreicht und würden früher oder später als unfähig entlarvt werden.
Zahnärztin gegen Olympia-Reiter: "Was mache ich hier?"
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel liefert Jodie Neill. Die Zahnärztin startete erst mit 25 Jahren im Vielseitigkeitssport und schaffte es bis zur 3-Sterne-Ebene. Doch der Erfolg brachte unerwartete Probleme mit sich:
"Plötzlich wärmte ich neben Olympia-Reitern und Profis auf. Bei einem Event in Gatcombe hörte ich im Kommentar, wie große Namen aufgaben und nach Hause gingen. Da dachte ich nur: 'Was zur Hölle mache ich hier? Ich bin Zahnärztin, die sind Profis!'"
Nur die Unterstützung ihres Trainers James Oakden verhinderte, dass sie die zehnstündige Heimreise antrat, ohne zu starten.
Sogar Olympia-Reiterin Laura Tomlinson litt unter Selbstzweifeln
Besonders überraschend: Selbst Spitzen-Athleten sind nicht immun gegen diese Gefühle. Olympia-Dressurreiterin Laura Tomlinson gesteht offen ihre Probleme in jungen Jahren: "Ich hatte es stark in meinen Under-21-Jahren. Ich hatte so viele Möglichkeiten bekommen - gute Pferde, Unterstützung, Trainer. Wenn ich gut war, dachte ich 'Das sollte so sein', und wenn nicht, dann war ich ein kompletter Versager."
Wenn der "Papagei" auf der Schulter zuschlägt
Die Symptome sind bei allen Betroffenen ähnlich: Ein ständiger negativer Dialog im Kopf, das Gefühl, nicht qualifiziert genug zu sein, und die Angst, als Hochstapler entlarvt zu werden. Dr. Claire Bennett von "Riding Mindfully" erklärt: "Das Gehirn nimmt die Vorstellung, entdeckt zu werden, als hochbedrohlich wahr. Es ist keine bewusste Entscheidung, ängstlich zu sein, sondern eine automatische Kampf-Flucht-Erstarrungs-Reaktion."
Praktische Hilfe: Atemtechniken und mentale Tricks
Doch es gibt Hoffnung. Experten haben konkrete Strategien entwickelt:
Die "Stop-Drop-Breathe"-Technik: Sobald die Abwärtsspirale beginnt, alles stoppen, die negative Geschichte fallen lassen und bewusst atmen.
Spezielle Atemtechnik: Drei Sekunden einatmen, fünf Sekunden ausatmen - das beruhigt das Nervensystem nachweislich.
Den "Papagei" ignorieren: "Du musst verstehen, wann dieser störende Papagei dir Ärger macht, und einfach nicht zuhören", rät Dr. Ivings.
Der Weg zur Selbstakzeptanz
Jodie Neill fand schließlich ihren Frieden: "Jemand fragte mich mal: 'Könnte ein Vielseitigkeitsreiter von Montag bis Freitag Zahnarzt sein?' Ich musste lernen, freundlicher zu mir selbst zu sein und nicht zu erwarten, dass ich reiten und Pferde ausbilden kann wie ein Profi."
Interior-Designerin Olivia Bushell, die bei Royal Windsor und der Horse of the Year Show startet, ergänzt: "Es geht darum, sich daran zu erinnern, warum man es macht. Alles andere ist ein Bonus."
Die Botschaft: Du gehörst dorthin, wo du bist
Das Impostor-Syndrom im Reitsport zeigt: Selbstzweifel kennen keine Grenzen - weder bei Amateuren noch bei Profis. Doch mit den richtigen Techniken und der Erkenntnis, dass diese Gefühle normal sind, lassen sie sich überwinden. Denn am Ende gilt: Wer an der Startlinie steht, hat sich seinen Platz verdient.






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