top of page

Schlechtes Benehmen bei Pferden: Steckt in Wahrheit etwas anderes dahinter?

Wenn Pferde buckeln, steigen oder beißen, gelten sie oft als „ungezogen“. Häufig signalisieren sie damit allerdings Schmerzen oder die Angst vor Schmerzen. Experten schätzen, dass die Mehrheit der Verhaltensprobleme bei Pferden auf körperliches Unwohlsein zurückzuführen ist. Doch was bedeutet das für Reiter und Halter?

Bockendes Pferd beim Rodeo
(Quelle: @Daniel Lloyd Blunk-Fernández / Unsplash)
„Wenn Sie Ihrem Pferd Namen geben, haben Sie das Ende Ihrer Geduld erreicht.“

Mit diesem treffenden Satz beschreibt Kate Fenner, Beraterin für Pferdeverhalten und Doktorandin an der Universität Sydney, die Frustration, die viele Reiter empfinden, wenn ihr Pferd unter dem Sattel oder an der Hand „unartig“ reagiert.


Doch anstatt das Verhalten als reinen Trotz oder schlechte Laune zu interpretieren, rät Fenner in thehorse.com dringend dazu, innezuhalten und die Situation zu überdenken. Denn Pferde handeln nicht aus Boshaftigkeit – vielmehr versuchen sie oft, Schmerzen zu vermeiden oder darauf aufmerksam zu machen.


Schmerzen statt „Schlechtigkeit“ – eine unterschätzte Ursache


Laut Fenner und anderen Experten entstehen über zwei Drittel der problematischen Verhaltensweisen von Pferden durch Schmerzen oder die Furcht vor Schmerzen. Beispiele sind:


  • Buckeln: Häufig ein Hinweis auf Unwohlsein, oft ausgelöst durch schlecht sitzende Sättel oder Rückenprobleme.

  • Steigen: Eine typische Reaktion auf Druck, der als unangenehm oder schmerzhaft empfunden wird.

  • Beißen oder Gurtzwang: Können auf Magengeschwüre, Verspannungen im Gurtbereich oder auch Angst vor einem bevorstehenden schmerzhaften Ritt hinweisen.


Das Pferd sagt mit diesen Verhaltensweisen nicht: „Ich will dich ärgern“, sondern vielmehr: „Etwas stimmt nicht.“


Wie Pferde auf Schmerzen reagieren


Pferde sind Fluchttiere und tarnen Schmerzen instinktiv, um nicht als schwach zu wirken. Doch wenn der Schmerz überhandnimmt, suchen sie nach Möglichkeiten, ihn zu vermeiden oder loszuwerden. Diese Strategien können vom Ausschlagen bis hin zum Kopfhochreißen reichen.


„Das Problem ist, dass Schmerz ein sehr effektiver Lehrer ist“, erklärt Fenner.

Pferde lernen schnell, welche Verhaltensweisen helfen, Schmerzen zu lindern, und setzen diese oft konsequent ein.


Häufige Verhaltensprobleme und ihre möglichen Ursachen


Buckeln


Laut der Expertin Dr. Sue Dyson gibt es fünf Hauptursachen für buckelnde Pferde:


  • Ein schlecht sitzender Sattel;

  • Druck oder Schmerz im Gurtbereich;

  • Primäre Rückenschmerzen;

  • Probleme im Kreuz-Darmbein-Bereich;

  • Schmerzen an anderen Körperstellen, die bis in den Rücken ausstrahlen.


Steigen und Treten


Diese Verhaltensweisen sind seltener als Buckeln, jedoch oft eine Folge von Schmerzen oder Missverständnissen zwischen Pferd und Reiter. Steigen kann zum Beispiel entstehen, wenn ein Pferd bei Schmerzen den Kopf hebt und der Reiter daraufhin Druck auf die Zügel ausübt – das Tier „lernt“, dass der einzige Ausweg nach oben ist.


Probleme beim Anbinden oder Satteln


Ein Pferd, das beim Anbinden zurückzieht oder bei Berührung des Kopfes steigt, könnte an Schmerzen in Ohren, Augen oder Zähnen leiden. Gurtzwang wiederum kann auf eine Vielzahl von Problemen hinweisen – von oberflächlichen Hautreizungen bis hin zu tieferliegenden Beschwerden wie Magengeschwüren.


Wie erkennt man Schmerz bei Pferden?


Da Pferde instinktiv dazu neigen, Schmerzen zu verbergen, ist es wichtig, ihr Verhalten genau zu beobachten. Dyson empfiehlt, Pferde in Ruhe zu analysieren und dabei auch subtile Hinweise wie Maulbewegungen, Schwanzschlagen oder spontane Gangwechsel zu beachten.


Zusätzlich hat Dysons Team ein Ethogramm mit 24 Verhaltensweisen entwickelt, die auf Schmerzen unter dem Sattel hinweisen könnten. Dazu gehören:


  • Ein offen stehendes Maul;

  • Ein intensiver Blick;

  • Häufiges Peitschen mit dem Schweif;

  • Plötzliche Änderungen des Tempos oder der Gangart.


Diagnose: Der Schlüssel zur Lösung


Die Ursache von Schmerzen zu finden, ist oft wie ein Puzzle. Laut Dyson beginnt die Diagnose mit einer detaillierten Anamnese: Gab es kürzlich Änderungen bei Sattel oder Gurt? Ist das Pferd schwierig beim Heben der Beine?


Darauf folgt eine gründliche klinische Untersuchung: Von der Untersuchung der Rückenmuskulatur bis hin zu Bewegungsanalysen an der Longe, mit und ohne Reiter. Falls nötig, kommen bildgebende Verfahren wie Röntgen oder Ultraschall zum Einsatz, um tieferliegende Probleme zu erkennen.


Behandlung und Umerziehung


Sobald die Schmerzen behandelt sind, braucht das Pferd oft gezieltes Training, um alte Muster zu durchbrechen. Verhaltensweisen wie Zurückziehen oder Gurtzwang können auch nach der Genesung bleiben, wenn das Pferd diese mit negativen Erfahrungen verknüpft.

Experten empfehlen, Pferde behutsam umzukonditionieren:


  • Mit kleinen Schritten und Belohnungen positive Erfahrungen schaffen.

  • Beispielsweise den Sattel auflegen und dafür ein Leckerli geben, den Gurt langsam schließen und erneut belohnen.


Auch beim Verladen eines Pferdes, das schlechte Erfahrungen gemacht hat, kann ein systematischer Ansatz helfen: Schrittweise heranführen, Druck und Belohnung gezielt einsetzen und das Vertrauen des Pferdes stärken.


Wann ist Vorsicht geboten?


In manchen Fällen – etwa bei Pferden mit gefährlichem Buckelverhalten – bleibt das Risiko für den Reiter bestehen.


„Manche Pferde sind unvorhersehbar und daher zu gefährlich zum Reiten“, warnt Dyson.

In solchen Fällen ist es besser, das Tier in den Ruhestand zu schicken, als die Gesundheit von Mensch und Pferd aufs Spiel zu setzen.


Fazit: Schmerz erkennen, statt das Pferd zu tadeln


Schmerz ist die häufigste Ursache für unerwünschtes Verhalten bei Pferden. Anstatt ein „ungezogenes“ Pferd zu bestrafen, sollten Halter und Reiter sich fragen: „Warum zeigt mein Pferd dieses Verhalten?“


Durch die richtige Diagnose, Anpassungen am Equipment und eine geduldige Umerziehung können viele Pferde wieder zu zuverlässigen Partnern werden – und einem wirklich harmonischen Miteinander steht dann nichts mehr im Weg.


Comments


bottom of page